• Kontakt
  • Webcam
  • Lage & Anfahrt

Die Illenau

Die Illenau - Vollkommene Symmetrie

Die 240 m lange Westfassade besticht durch ihre (fast) vollkommene Symmetrie. Der Vergleich mit einem Schloss liegt nahe, ist aber nicht zwingend, denn klassizistisch entworfene Straßen für Karlsruhe haben die gleichen Strukturmerkmale. Schematisch –  nach der horizontalen Zahl der Fenster pro Abschnitt dargestellt – ergibt sich die ausgewogene Proportion:

3 7 3 7  333 333 333 7 3 7 3
illenau_skaliert_neu


Die einzige Abweichung sind die drei etwas größeren Fenster im Direktionsbereich links vom zentralen Hof. Spötter sprachen zwar von einem "Narren-Palast", doch die beträchtlichen Geldmittel wurden bewilligt, und 1842 konnte die badische "Heil- und Pflegeanstalt" bezogen werden. Der Großherzog gab ihr im Anklang an den vorbeifließenden Illenbach den Namen "Illenau", der lange Zeit als Bezeichnung eines selbständigen Gemeinwesens aufgefasst wurde: Man lebte "in Illenau".
Der Gründungsdirektor Christian Friedrich Roller hatte auf einer einjährigen Reise die Fürsorge für Geisteskranke in Europa studiert, die zunehmend als staatliche Aufgabe begriffen wurde. Seine dabei gewonnenen Erkenntnisse fasste er 1831 in einer Denkschrift zusammen. Dafür wurde ihm die Ehrendoktorwürde zuteil, und nach seiner Konzeption plante der Weinbrenner-Schüler Hans Voß den bis heute erhaltenen Bau. Eines der grundlegenden Prinzipien war die Verbindung von Heil- und Pflegeanstalt in einer geschlossenen Anlage mit integrierter Kirche und Festsaal. Dieses Modell übernahmen zahlreiche Neubauten von psychiatrischen Kliniken im In- und Ausland.

"Heilkraft der Isolierung"

Nichts lag Roller ferner als die Errichtung eines Schlosses. Sein klassizistisch geschulter Architekt konstatierte nüchtern, dass für Gebäude dieses Ausmaßes – sei es Schloss oder Hospital – die gleichen Gliederungsprinzipien gelten. Energisch setzte sich Roller dafür ein, dass pompöse und einschüchternde Formen vermieden wurden.Der Patient sollte sich schon bei seiner Ankunft in einer "lieblichen" Atmosphäre wohlfühlen, und die Anlage sollte "zweckdienlich" sein, also der Therapie förderlich. So wurde das Vorfeld des Gebäudes nicht als Park gestaltet, sondern diente Patienten und Mitarbeitern als Gartengelände, das durch die Türen der Vorderfront leicht erreichbar war.

Die Wahl des bei Achern gelegenen Standortes entsprach Rollers Vertrauen auf die „Heilkraft der Isolierung“ in einer reizvollen ländlichen Umgebung, und hier konnte er als medizinischer Direktor seine Vorstellungen einer humanen und religiös unterstützten Therapie und Pflege verwirklichen. Roller bildete zahlreiche Ärzte aus, und die Illenau erwarb sich eine Weltgeltung, die zahlreiche vermögende und hochgestellte Patienten anzog.

Heinrich Schüle – Verfasser des Standardwerks „Klinische Psychiatrie“ (1886) – modernisierte um die Wende zum 20. Jahrhundert die Anstalt grundlegend. Dem neueren Konzept der zwangsfreien Behandlung folgend ließ er die Tobzellen- und Tobhöfe samt Außenmauern abreißen und brachte die unruhigen Patienten in zwei separaten Pavillons auf der Nord- und Südseite unter. Die beiden "offenen" Landhäuser dienten der Vorbereitung auf ein Leben nach der Entlassung.
 
Die Nord- und Südflügel wurden zu Beobachtungsstationen erweitert, damit die Illenau ihre Funktion als zentrale Aufnahmeklinik für das Großherzogtum Baden erfüllen konnte. Außerdem wurde die Illenau auf den Stand der Technik gebracht: sie erhielt eine moderne Wasserversorgung, elektrisches Licht und ein neues Kessel- und Maschinenhaus. Die Missstände in Küche und Waschküche wurden durch die Verlegung aus dem Hauptgebäude beseitigt. Die Reimann-Stiftung ermöglichte es, eine Dependance für gutsituierte Damen (heute das blaue Haus in der Illenauer Allee 2) zu errichten.

Die Illenau nach der Auflösung 1940

Mit dem Ersten Weltkrieg hörte die Bautätigkeit auf. Alle Mittel wurden benötigt, um die Illenau in der Inflationszeit überhaupt weiterzuführen. Die Geringschätzung "lebensunwerten Lebens" durch die Nationalsozialisten führte 1940 zur Auflösung der Heil- und Pflegeanstalt.
Im Verlauf der Aktion T 4 wurden etwa 260 Patienten zur Vergasung abtransportiert, etwa hundert Patienten konnten entlassen werden, und etwa vierhundert wurden in andere Anstalten verbracht. Noch im selben Jahr kamen Mädchen aus Südtiroler Familien, die für die deutsche Staatsbürgerschaft optiert hatten, in die Reichsschule für Volksdeutsche, die mit dem Jungeninternat im elsässischen Rufach verbunden war. In diese Schule verbrachte der Lebensborn 1943 zusätzlich etwa fünfzig polnische Mädchen, die hier "germanisiert" werden sollten. Für eine kurze Zeit gab es in Achern auch den Versuch, eine Eliteschule für Mädchen (Nationalpolitische Erziehungsanstalt) einzurichten, der aber aufgegeben und als Heimschule im ehemaligen Kloster Hegne am Bodensee fortgeführt wurde.

Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm das französische Militär die Gebäude, die verschiedene militärische Einrichtungen aufnahmen, unter anderem die Luftüberwachung und die Schulungsstätte für das "air land battle". Alle Offiziere der französischen Luft- und Bodenstreitkräfte hatten sich hier zu einem einwöchigen Kurs einzufinden. Vielen Achernern ist das Restaurant des "Maison de France", das auch für Deutsche offen war, in freundlicher Erinnerung. Heute ist es Probelokal der Stadtkapelle.

Nach dem Abzug der französischen Truppen

Nach dem Abzug der Franzosen in den 90er Jahren fand der Vorschlag, die Tradition der psychiatrischen Landesklinik fortzusetzen, bei der Stuttgarter Regierung kein Gehör, und es begann die aufregende Suche nach einer neuen Nutzung. Nachdem viele Hoffnungen zerstoben waren, erwarb die Stadt Achern die Illenau, um über ihre weitere Verwendung mitreden zu können. Inzwischen hat ein Investor im Nordteil 53 Wohnungen geschaffen und verkauft.
Der ehemalige Direktions- und Verwaltungstrakt auf der linken Seite des Hofes wird derzeit zum technischen Rathaus umgebaut, und im Mittelteil ist die erste Bauphase des "Forums Illenau" mit Räumlichkeiten für kulturelle und gesellige Veranstaltungen angelaufen. Die Gebäude im Vorfeld haben neue Nutzer gefunden, und im Bereich der ehemaligen Stallungen entstanden die "Illenauer Werkstätten".

Copyright: Walther Stodtmeister